Traditionelle Appliqué-Arbeiten in Ägypten
Khayamiya Street, also die Zeltmacher-Straße, ist für mich immer der Höhepunkt eines Bummels durch das historische Altstadtzentrum in Kairo. Die Altstadt hat Stellen, die noch einen Rest der Ruhe atmen, die die Stadt mal hatte, bevor sie unter einer ungeheueren Blechlawine begraben wurde. Irgendjemand im Stadtplanungsamt (und in der UNESCO) hält offensichtlich seine schützende Hand über diese Orte und bewahrt ihre Einmaligkeit. Man kann gar nicht dankbar genug dafür sein. Wer Bedeutung und Alter dieser Stadtviertel erfahren möchte, sollte sich in die einschlägigen Quellen einlesen, sei aber gewarnt: Es tut sich ein sehr großes, faszinierendes Feld orientalischer Kulturschätze auf. Bevor man sich also zum Orientalistik-Aufbaustudium entschließt, zieht man zunächst mal einen bodenständigen Reiseführer zu Rate, der schon etwas Orientierung bietet. Deswegen bleiben wir hier auch besser bei unserer Kernkompetenz: Textilkunst und Quilts.
Kairo entdecken
Kairo ist kein echter Touristen-Hotspot, die Massen zieht es an die Strände des Roten Meers, an die Pyramiden oder die historischen Highlights am oberen Nil. Wer den neuen Flughafen anfliegt, landet strategisch günstig zwischen den Pyramiden, dem neuen Museum und den Hotels außerhalb der Stadt. Touristen können neuerdings Kairo „erleben“, ohne nach Kairo zu müssen. Die Mühe, sich durch das Verkehrschaos bis in Kairos Altstadt durchzuschlagen, machen sich nur Wenige. Das ist schade, denn das wirkliche Ägypten und das echte Kairo bekommt man eigentlich erst dann zu sehen, wenn man sich ins chaotische Herz der 20-Millionen-Stadt begibt.
Dies hier ist also endlich die längst überfällige Würdigung der letzten Reste traditioneller Handwerkskunst in einer Stadt, die ansonsten in einem rabiaten Modernisierungsprozess versucht, dem Auto zu huldigen, indem sie jeglichen öffentlichen Lebensraum zur Verbrenner-Kampfzone macht.
Bloß nicht im Stau enden:
Eine gute Zeit, die Altstadt zu genießen ist der späte Freitagvormittag. Freitagmorgen ist der einzige Moment, an dem Kairo tatsächlich mal kollektiv zu einer gewissen Ruhe kommt. Man hat das Gefühl, alle sind für kurze Zeit erschöpft in einen komatösen Schlaf gefallen, bis alle Muezzine der Stadt wieder zum freitäglichen Mittagsgebet rufen. Danach geht der Trubel sofort wieder los. Wer nachmittags nach vier Uhr losfährt, wird den Rest des Nachmittags in einem wild hupenden, drängelnden Haufen verbringen, in dem jede und jeder nur ein Ziel hat: Vor die anderen zu kommen. Das ist auf jeden Fall ein Erlebnis an sich, aber lästig, wenn man eigentlich was anderes vor hatte.
Grundsätzlich ist es in Kairo egal, ob Tag oder Nacht ist, das Leben ist gerade im Sommer und erst recht im Ramadan in die Nacht verlegt. Außerdem gehört die Nacht den Straßenhunden, die die relative Ruhe auf der Straße nutzen, um lautstark die Revierkämpfe ihrer Rudel auszutragen. Für Europäer, die nicht daran gewöhnt sind, akustisch mitten auf der Kreuzung zu übernachten, kann das zunächst mal zur Herausforderung werden.
Und auf geht’s in die Altstadt:
Du hast also – überwältigt von neuen Eindrücken und verwirrt vom akustischen Grundrauschen der Stadt – nicht wirklich gut geschlafen und – erster Erfolg! – ein Taxi erbeutet. Du hast auf dem Preis bestanden, den dir die freundliche Ägypterin an der Rezeption vom Hotel empfohlen hat, und du hast auch genug Kleingeld, denn Taxifahrer in Kairo werden dir niemals Wechselgeld rausgeben. Ungefähr beim Bab Zuweila, dem alten Stadttor am Rand der Altstadt und in der Nähe vom Khan el Khalili bist du ausgestiegen. Der historische Markt Khan el Khalili ist ein Muss für die Kairo-Touristen (und für alle anderen auch). Wir gehen jetzt aber in die Khayamiya street, die auf der anderen Straßenseite beginnt.
Der Blick sollte unbedingt zuerst mal nach oben gehen. Das ist schwer, angesichts der Schätze, die sich auf Augenhöhe präsentieren. Aber Khayamiya street ist eine der letzten alten Marktstraßen: Die überkragenden Obergeschosse der Häuser liegen auf massiven Stützen, die dicken, alten Mauern und das nahezu geschlossene Dach über der Straße schützen sehr gut vor der Hitze und dem grellen Licht der Sonne. So ist es hier auch im Hochsommer noch erträglich, ein Ventilator reicht. Ganz anders als in den modernen Neubauten, die im Sommer ohne stromfressende Klimaanlage schlichtweg unbewohnbar sind.
Was die Händler im Angebot haben:
Alles hier wird von Hand genäht. Traditionell ist der Grundstoff das grobe Leinwandgewebe der Zelte, mit denen die reichen Ägypter früher aufs Land – also in die Wüste – gezogen sind, wenn es ihnen in der Stadt zu heiß wurde. Dieser naturfarbene Untergrund ist die ursprüngliche Basis, auf der die unglaublich farbigen Applikationen, aufgebracht werden. Diese Zeiten sind natürlich vorbei und Inzwischen sieht man ganz viele andere Untergründe und die Zeltmacher dekorieren auch gar keine Zelte mehr, sondern gestalten Wandteppiche, die sie zum Verkauf anbieten.
Die Technik aus der Nähe:
Wenn man es sich aus der Nähe ansieht, dann ist es eine klassische Needle-Turn-Technik, bei der die Nahtzugabe jeweils mit der Nadel unter den Stoff geschoben wird. Je nach Qualität der Arbeit sind die Stiche dabei von ein bisschen bis nahezu garnicht sichtbar. In diesem Beispiel ist die Technik auf einem schnell genähten Kissenbezug ziemlich grob ausgeführt aber dadurch gut sichtbar.
In Kairo sind die Männer die traditionellen Textilkünster.
Die sehr kleinen Läden werden – wie das Handwerk auch – von den Vätern an die Söhne weiter gegeben. Die Zeltmacher sind übrigens alle Männer. Das gilt eigentlich für alle traditionellen Handwerkstechniken hier, dass sie in der Hand der Männer sind. Es gibt natürlich moderne Künstlerinnen und Designerinnen in Ägypten, aber die Tradition wird eher von den Männern getragen. Vielleicht habe ich bislang in Ägypten einfach nicht genau genug hingesehen, aber ich habe nicht den Eindruck, dass die Frauen sich in traditionellem (textilen) Handwerk ausdrücken, wie man das in anderen Teilen der Welt oft sieht.
Souvenirs…..
Klar, dass die Versuchung groß ist, von diesen Schätzen auch einen mit nach Hause zu nehmen. Vieles spricht dafür: Im Gegensatz zu allen anderen Souvenirs aus Ägypten sind die Wandteppiche und Kissenbezüge leicht, unzerbrechlich und passen notfalls auch ins Handgepäck. Sie stehen auch zu Hause dann nicht komisch im Regal rum. Aber die Handwerker wissen um die Qualität ihrer Arbeit und verkaufen keinen Ramsch. Man muss also darauf gefasst sein, dass man für die Arbeit mehrerer Monate auch einen entsprechenden Preis zahlen muss. Angesichts einer dramatischen Inflation ist das für Gäste aus Europa recht einfach. Aber für die Ägypter ist das Leben – auch für den Mittelstand – gerade richtig teuer und schwierig geworden.
Und zum Schluss eine Warnung: Man sollte die Sachen nicht in die Waschmaschine stecken, um als erstes mal den allgegenwärtigen Wüstenstaub runter zu kriegen. Erst mal mit dem Staubsauger ran gehen und beim Waschen unbedingt Vorsicht walten lassen, weil die Stoffe oft ausfärben, was auf hellen Hintergründen fatal sein kann.